Ein bisschen mulmig war uns schon zumute, als wir die letzten paar Kilometer bis zur chinesischen Grenze zurücklegten. Schließlich hatten wir von vielen Radreisenden gehört, dass das Radfrahren in Xinjiang aufgrund der ominpräsenten Polizei alles andere als einfach ist. Was genau darunter zu verstehen war, konnten wir zu diesem Zeitpunkt nur erahnen. Entsprechend überrascht waren wir also, dass die Einreise extrem schnell und einfach vonstatten ging. Dies lag möglicherweise daran, dass wir den letzten Grenzposten kurz vor der (vierstündigen) Mittagspause der Grenzbeamten erreichten und diese es wohl damit eilig hatten, uns abzufertigen. Das ganze ging sogar so weit, dass wir nach den obligatoischen Checks komplett alleine im Grenzgebäude zurück gelassen wurden. Als wir schließlich den Weg hinaus in die Stadt Ulugqat gefunden hatten, offenbarte sich uns eine andere und etwas einschüchternde Welt: Überall Polizei, hohe Zäune und Stacheldraht um jedes Gebäude. Läden und Restaurants waren vergittert und deren Eingang immer von einem mit einer Eisenstange oder einem Holzknüppel bewaffneten Mitarbeiter bewacht. Die ganze Szenerie wirkte skurril und machte uns ein wenig Angst. Viel schlimmer war jedoch, dass wir Hunger aber noch keine Yuan abgehoben hatten. Da dies an keinem Bankautomaten gelingen wollte, rollten wir also hungrig, pleite und eingeschüchtert aus der Stadt heraus richtung Kashgar. Der erste Polizeicheckpoint ließ nicht lange auf sich warten. Was genau der Sinn und Zweck dieser Checkpoints ist, wissen wir bis heute nicht. Offenbar wissen es aber die dort stationierten Polizisten genauso wenig. So dauerte es z.B. beim ersten Checkpoint 1 ½ Stunden, bis die Beamten erfolgreich ein paar Fotos von unseren Pässen mit ihren Smartphones gemacht uns uns weiter gelassen hatten. Dieses Prozedere sollte sich an diesem ersten Tag noch drei weitere male wiederholen, bis wir schließlich ab dem letzten Checkpoint eine Polizeieskorte als „Aufpasser“ zur Seite gestellt bekommen haben. Diese Eskorte verfolgte uns mit Blaulicht bis nach Kashgar. Was für ein toller erster Eindruck! Doch nicht alles war schlecht: In Kashgar kamen wir zum ersten Mal in den Genuss einer eignes für (ausschließlich elektrische) Motorroller vorgesehenen Fahrbahn. Diese erleichterte die Einfahrt in diese große Stadt ungemein! Außerdem schafften wir es in Kashgar Geld abzuheben und kamen dementsprechen in den Genuss der großartigen chineischen Küche, auf die wir uns schon so lange gefreut hatten.
Ob wir Xinjiang mit diesen Rahmenbedingung durchstehen konnten, war zu diesem Zeitpunkt allerdings alles andere als fraglich. Auch während der zweitägigen Pause in Kashgar merkten wir, dass man Touristen in Xinjiang nicht so gerne sieht. So wurden wir auch als Fußgänger häufig von der Polizeit kontrolliert und befragt und es war uns als Ausländer absolut unmöglich eine Simkarte zu kaufen. Wir hatten zum Glück bereits in Kirgisistan von zwei sehr netten Radreisenden eine Simkarte geschenkt bekommen, dies war also kein großes Problem.
Die Pause in Kashgar brauchten wir auch, um uns an die doch etwas anderen chineischen Sitten zu gewöhnen. Hier ist es z.B. ganz normal, dass überall und sogar beim Essen geraucht wird – Stäbchen in der einen Hand, brennende Fluppe in der anderen. Schmatzen, schlürfen und spucken gehört zum guten Ton und rohe Knoblauchzehen werden als Snack verzehrt. Am Frühstückbuffet gilt „first come first serve“ bzw. „survival of the fittest“ – das Buffet wird also direkt bei Öffnung des Frühstücksaals regelrecht geplündert. So interessant diese Gebräuche für uns sind, so interessant sind wir für die Chinesen: wir werden ununterbrochen (und meist ungefragt) fotografiert und gefilmt. Da in China ohnehin überall staatliche Überwachungskameras hängen, ist das allerdings halb so wild.
Das kling nun alles sehr negativ, was es aber keineswegs ist. Man macht ja so eine Reise nicht um die Welt woanders so vorzufinden, wie man sie von zu Hause gewöhnt ist. Kashgar offenbarte uns auch wirklich angenehme Facetten dieses Landes: Hervorragendes Essen, hilfsbereite und interessierte Leute, gute Straßen, günstige Preise und ein reichhaltiges Angebot an frischen Früchten (v.a. verschiedenen Melonen und Pfirsichen).
Wäre da nicht die Polizei gewesen, wäre alles perfekt gewesen. Aber da die Polizei nunmal ein nicht zu ignorierender Faktor in Xinjiang ist, nutzen wir die Zeit in Kashgar auch, um in uns zu gehen: Weiterfahren oder überspringen? Das war die große Frage.
Da wir uns aber nicht so schnell geschlagen geben wollten, ging es kurze Zeit später weiter in die Taklamakan Wüste…. to be continued!
“Why do you go away? So that you can come back. So that you can see the place you came from with new eyes and extra colors. And the people there see you differently, too. Coming back to where you started is not the same as never leaving.”
― Terry Pratchett, A Hat Full of Sky
Lieber Olli, liebe Anne!
Ich finde es soooo toll was ihr da gemeinsam macht – dass ihr eure Comfort Zone verlassen habt, euch durch Staub, Regen, Wildnis und Wüsten quält und jeden Tag ein neues Abenteuer erlebt das euch psychisch und physisch immer wieder von Neuem fordert. Jedem dem ich von eurem Abenteuer erzähle ist zuerst geschockt, dann verblüfft, dann absolut ungläubig, aber zu guter Letzt total beeindruckt 🙂
Wie Terry Pratchett es schon richtig formuliert hat werdet ihr wohl nicht als die Menschen wiederkommen, als die ihr aufgebrochen seid – und das ist doch das schönste an diesem Mammutprojekt, oder? Ich hoffe ihr teilt weiterhin eure Abenteuer mit uns und ich freue mich schon auf den nächsten Reisebericht und drücke euch ganz fest die Daumen, dass weiterhin alles glatt geht und ihr sämtliche Reifenpannen, Polizeikontrollen (und auch ein bisschen das gewöhnungsbedürftige chinesische Essen *wuff, wuff sag ich da nur*) vermeidet ;-p
Alles Liebe,
Mona
(P.S.: Olli, ich höre leider zum 31.08. bei dem “großen Automobilhersteller” auf und wechsle ins spannende Feld des IT/Tech.-Recruitings. Ich würd mich aber freuen wenn wir uns sobald ihr wieder da seid mal wieder treffen)
Hi Mona,
vielen Dank für die netten Worte. Das Terry Pratchett-Zitat hat mich direkt dazu gebracht, mich mal wieder den Scheibenwelt-Romanen zu widmen (als Hörbuch natürlich – perfekt beim Radln).
Ich bin schon auf die Zeit nach der Reise gespannt und ob bzw. wie sich die Reise auf uns und unsere Weltanschauung auswirkt. Ich denke, dass wir auf jeden Fall gelassener an unmöglich scheinende Aufgaben herangehen und ein bisschen mehr den Luxus des eigentlich alltäglichen zu schätzen wissen (täglich duschen z.b. ?).
Bis dann und einen guten Start beim neuen Job!
Olli
P.s.: Wuff Wuff schmeckt sicher wie Hühnchen