Die Wüste zu verlassen war zwar damit verbunden, dass wir viele Höhenmeter bewältigen mussten, der Beginn der Berge war aber dennoch sehr angenehm für uns. Die erste Nacht außerhalb der Wüste verbrachten wir auf 2000 Metern, es war also bereits etwas kühler. Zudem gab es einen kleinen Bergbach, der für Erfrischung sorgte und es war deutlich einfacher einen Zeltplatz zu finden. Die landschaftliche Veränderung war jedoch nicht von großer Dauer – auf dem Hochplateau angekommen sah wieder alles nach Wüste aus.
Da es trotzdem nicht so heiß war, machte uns dies allerdings nichts aus. Ganz im Gegenteil, die Motivation kehrte zurück und wir kamen schnell voran. Positiv fiel außerdem auf, dass hier in Qinghai kaum Polizei unterwegs war und es keine nervigen Checkpoints mehr gab. Läden waren nicht mehr bewacht und Hotels nicht mehr mit Metalldetektoren ausgestattet. Sogar Tankstellen, die ja in Xingjiang schwer bewacht und für uns Tabu waren, konnten wir einfach so betreten. Dies erleichterte für uns die Snack-Versorgung unterwegs ungemein – wir hielten bei fast jeder Tankstelle an um uns mit Süßkram, Nudelsuppe oder einem Heißgetränk zu versorgen. Besonders der hier sehr beliebte Milch-Tee mit Bohnen-Einlage hat es uns angetan (klingt ekelig, ist aber lecker).
Während wir uns also immer mehr von den Strapazen der Wüste erholten, wurde klar, dass die Ausrüstung unter den letzten Monaten gelitten hatte. Ständige platte Reifen, eine komplett defekte Magura-Bremse, undichte Kissen und Isomatten, eine zerbrochene Luftpumpe, nicht funktionierende Busch und Müller Dynamo-Ladegeräte und diverse andere Kleinigkeiten machten unser Leben nicht gerade leichter.
Wirklich schlimm ist aber nur, was wir kurz vor dem Erreichen der Stadt Golmud erfuhren: In Tadjikistan wurden vier Radreisende von IS-Terroristen getötet. Wie sich herausstellte, kannten wir die Opfer. Wir hatten uns in Kirgisistan getroffen, wo wir Erfahrungen, Geschichten und Simkarten ausgetauscht hatten. Die Gedanken an diese wunderbaren Menschen und ihr Schicksal werden uns bis Bangkok und weit darüber hinaus begleiten.
In der Stadt Golmud machten wir Pause, um uns auf die bevorstehende Herausforderung vorzubereiten: das tibetische Hochplateau. Als wir uns also ein bisschen erholt hatte, ging es wieder los – und direkt steil bergauf. Die Nähe zu Tibet war deutlich daran zu erkennen, dass extrem viele Militärfahrzeuge unterwegs waren. Auch wenn die Soldaten uns häufig aus ihren Panzern freundlich zuwinkten, war das ganze doch etwas bizarr.
Nach zwei Tagen erreichten wir den ersten Pass auf knapp 4800 Metern Höhe, der den Beginn des Hochplateaus markiert. Der Pass war offenbar so etwas wie eine Touristenattraktion. Zwischen bunten Gebetsfahnen tanzten traditionell gekleidete Tibeter für die vielen dort versammelten (chinesischen) Touristen. Mit zwei Langnasen auf Fahrrädern hatte dort oben wohl niemand gerechnet. Jedenfalls waren wir kurze Zeit später die Hauptattraktion – wir mussten für duzende Selfies, sowohl mit den Touristen, als auch mit den tibetischen Tänzern herhalten.
Nach dem Trubel auf dem Pass verließen wir bald die Hauptstraße, die nach Lhasa führt und radelten nun durch traumhaft schöne Landschaft in Richtung Yushu. Wider erwarten war es hier oben erstaunlich grün und nur vereinzelt waren in der Ferne schneebedeckte Berge zu sehen. Außerdem war es wirklich einsam. Unsere Gesellschaft bestand primär aus Yaks, Murmeltieren, Adlern, tibetanischen Gazellen und lustigen kleinen Nagern.
Wirklich selten sahen wir auch Tibeter auf Motorrädern.
Die dünne Luft hier oben machte uns weniger zu schaffen, als wir erwartet hatten. Sehr unangenehm hingegen waren die Kälte und der sehr häufige Regen, vor allem in Kombination. Da half auch ein improvisiertes Pferdekacke-Feuer nicht viel. In der Wüste hatten wir noch von einer Eisschicht auf unserem Zelt geträumt – hier oben fanden wir das allerdings nicht so angenehm. Man kann es uns auch nicht recht machen… 🙂
Meist in Regenkleidung eingepackt, erklommen wir einen Pass nach dem anderen und näherten uns immer weiter der Stadt Yushu, die unsere nächste Station für eine Pause werden sollte. Je näher wir der Stadt kamen, desto dichter besiedelt wurde die Gegend. Dass die Bevölkerung hier oben fast ausschließlich aus Tibetern bestand, war deutlich zu spüren und zu sehen. Zu jedem Ort gehörte ein meist mit viel Gold verziertes Kloster, es liefen viele Mönche durch die Gegend und die Pässe waren alle mit bunten Gebetsfahnen dekoriert. Zudem sprachen die Menschen mancherorts noch schlechter chinesisch als wir. In diese Gegend verirren sich offenbar nur selten Touristen, jedenfalls wurden wir überall angestarrt als wären wir gerade mit einem Ufo gelandet.
Kurz vor Erreichen der Stadt Yushu stellten wir noch einen persönlichen Tour-Rekord auf – mit 4815 Metern überquerten wir den höchsten Pass unserer Reise (das ist höher als der Mont Blanc).
In Yushu angekommen offenbarte sich uns ein ganz anderes Bild als auf der einsamen Hochebene: Die Stadt war voll mit ost-chinesischen Touristen, die sich die tibetische Kultur anschauen wollten. Dementsprechend laut, bunt und voll war es dort. Gut erholt ging es von dort aus zwei Tage später zurück auf die Straße Richtung Sichuan.
Mit Yushu erreichten wir also eine Gegend, die auch für ost-chinesische Touristen interessant ist. Dies bedeutete auch, dass wir nicht mehr allein auf der Straße waren. Die Reisebusse und SUVs der Touristen wurden zu unseren ständigen Begleitern. Das Klischee, dass Chinesen schlechte Autofahrer sind, stellte sich bald als wahr heraus. Sie fahren sogar wirklich miserabel Auto. Anstatt auf der richtigen Straßenseite zu fahren, nutzen sie die volle Breite der Fahrbahn und hupen permanent um den Gegenverkehr zu warnen. Auch sonst werden Verkehrsregeln durch permanentes Hupen ersetzt. Das ist zwar nervig, aber man gewöhnt sich irgendwann an alles…
Kurz nachdem wir Yushu verlassen hatten, überquerten wir die Grenze zur Provinz Sichuan. Obwohl wir das „richtige“ Hochplateau damit verlassen hatten, blieb es bergig, kalt und regnerisch, weshalb wir kurze Zeit später wieder einen Pausentag in der „Stadt“ Zhuqing einlegten. Dort probierten wir erstmals die berühmte Küche Sichuan‘s und waren begeistert. Neben Nudeln gab es nun auch endlich Gerichte mit Reis.
Ein weiteres Highlight in dieser Stadt war unsere Unterkunft, deren Dusche aus einem Wasserkocher, einem Eimer Wasser mit Schöpfkelle und zwei Plastikschüsseln bestand. Zudem wurde man auf dem Weg zur Freilufttoilette (einem Loch im Boden) von Yaks begleitet.
Im weiteren Verlauf dieser Etappe nach Litang stiegen wir immer weiter ab, bis es irgendwann sogar wieder richtige Bäume, Wälder und Felder gab – die Landschaft sah fast ein bisschen heimisch aus, wären dort nicht überall vergoldete Tempel und Buddhas gewesen. Einen großen Teil der Etappe legten wir außerdem in einer tiefen Schlucht an einem Fluss zurück, links und rechts gesäumt von hohen Felswänden. Dort war es natürlich nicht einfach einen Zeltplatz zu finden, sodass wir uns für eine Stelle entschieden, die von Häusern auf der anderen Flussseite aus einsehbar war. Als wir dort gerade unser Zelt aufgebaut hatten, stand auch schon eine Frau weit oben auf der anderen Seite und gestikulierte wild in unsere Richtung. Irgendwann war klar: sie möchte uns einladen, im Haus ihrer Familie zu essen und zu schlafen. Da es sowieso nach Regen aussah (wie immer) nahmen wir das Angebot gerne an, packten zusammen und fuhren über die nächste Brücke zu Ihr auf die andere Seite. Kurze Zeit später saßen wir im Wohnzimer des eindrucksvollen tibetischen Gebäudes mit der Familie um den Ofen und aßen leckere Brotsuppe. Zum schlafen wurden wir in ein „Gästehaus“ im Garten geführt, das offenbar auch als Gebetsraum diente. Jedenfalls schliefen wir in dieser Nacht unter den Wachsamen Augen einiger Dalai Lama-Poster.
Nach einer kurzen Pause und der ersten warmen Dusche seit 3 Wochen in der Stadt Litang ging es weiter auf die Straße nach Shangri-La. Diese war zu großen Teilen nicht asphaltiert, was auf der gesamten Reise ein Novum darstellte. Dass wir dennoch innerhalb eines Tages 1600 Höhenmeter auf einen hohen Pass bewältigten machte uns klar, dass wir in der Zwischenzeit echt fit geworden waren.
Nur klüger sind wir offenbar nicht geworden, denn wir zelteten direkt auf dem Pass, wo es echt kalt war. Vor Erreichen der Stadt Shangri-La stellte sich uns noch ein letztes unerwartetes Hindernis in den Weg: unsere Straße war durch einen Erdrutsch verschüttet worden.
Während für Autos hier kein Durchkommen war, konnten wir das Hindernis aber kletternd überwinden und letztendlich doch müde und verdreckt unser Ziel erreichen. Hier in Shangri-La machen wir nun die bisher längste Pause unserer Tour, weil wir auf die Verlängerung unserer China-Visa warten müssen. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn Shangri-La ist wirklich gemütlich. Gutes essen, eine nette Unterkunft und ein entspanntes Ambiente sorgen für echte Urlaubsstimmung.
Genießt die Tage in Shangri-La und esst für mich eine Portion Jiaozi mit… weiterhin gutes Durchhalte-vermögen könne ich freue mich auf den nächsten Eintrag